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Gütersloh

Wie entsteht Heimat unter den Bedingungen einer Vielfalts-Gesellschaft?

100 Liter Tee zusammen trinken

Wie entsteht Heimat unter den Bedingungen einer Vielfalts-Gesellschaft? Eine Fachtagung des Diözesan-Caritasverbandes beleuchtete neue Facetten des alten Begriffs "Heimat".

Rietberg/Paderborn (cpd). Wie steht es um die Heimat? Welche Zukunft hat sie? Diese und weitere Fragen standen im Mittelpunkt einer Tagung des Diözesan-Caritasverbandes Paderborn im Ratssaal in Rietberg. Mit ihrem historischen Ortskern könne die Stadt als "Archetypus von Heimat" gelten, sagte Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig. Gleichzeitig gehöre eine andere Realität in die Region, die nicht zur westfälischen Idylle zu passen scheine: Nur wenige Kilometer entfernt biete der Caritasverband für den Kreis Gütersloh Beratung für osteuropäische Werkvertragsarbeiter in der Fleischindustrie an – eine Wirklichkeit, die die Folgen der Globalisierung und des europäischen Wohlstandsgefälles drastisch vor Augen führe.

Bei der Gestaltung der Heimat dürfe man sich nicht nur von einem einzigen Heimatsverständnis leiten lassen, sagte Lüttig und verwies auf den programmatischen Titel der aktuellen Jahreskampagne des Deutschen Caritasverbandes: "Zusammen sind wir Heimat." Denn: "Selbst in den kleinsten Kommunen verbinden die Menschen mit Heimat so viel Unterschiedliches, wie es eben der Vielfalt von heutigen Lebensformen und Lebensentwürfen entspricht."

Davon berichtete Thomas Becker, Vorstand des Caritasverbandes für den Kreis Soest, in einem Kurzreferat. Die Sozialforschung habe gezeigt, dass die deutsche Gesellschaft in verschiedene Milieus und Bevölkerungsgruppen aufgeteilt sei, zwischen denen spürbar Grenzen verlaufen. "Die, die oben sind, grenzen sich ab von denen, die unten sind." In diese Gesellschaft kämen nun Hunderttausende Flüchtlinge aus einer ganz anderen, teils archaisch geprägten Welt. "Das Wichtigste ist, zusammen erst einmal 100 Liter Tee zu trinken und sich auszutauschen."

Die verschiedenen Gruppen zusammenzubringen sei für das heimatliche Vereinswesen die größte Herausforderung, sagte Frank Wengenmaier, Oberst der 500 Mitglieder zählenden St.-Hubertus-Schützenbruderschaft aus Salzkotten-Oberntudorf, in einer ersten Talkrunde. Der Verein habe eine besondere soziale Verantwortung, auf Menschen zuzugehen, zum Gespräch einzuladen und gleichsam als "Kitt" das Dorf zusammenzuhalten. Das habe auch mit den Flüchtlingen im Dorf gut funktioniert.

Die Heimat aus Sicht von Senioren schilderte Mechthild Reker von der Caritas Gütersloh. "Die Menschen wollen ihre Heimat nicht aufgeben, bekommen aber oft ihre Versorgung nicht mehr hin." Ganze Straßenzüge würden vereinsamen, weil nur noch jeweils eine Person in einem Haus lebe. Senioren müssten frühzeitig über Alternativen wie ein betreutes Wohnen nachdenken. "Wenn ein bestimmtes Alter erst einmal überschritten ist, bleiben sie solange wie es geht. Und dann entscheidet irgendwann jemand anders über sie."

Auch Menschen in Not müssten in die Heimat integriert werden, sagte Dr. Ursula Pantenburg, Vorsitzende des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) Gütersloh. "Viele schämen sich und trauen sich nicht, um Hilfe zu bitten. Die müssen wir abholen." Dazu biete der SkF Gütersloh ein niedrigschwelliges Café der Begegnung an mit der Möglichkeit, in einem benachbarten Geschäft für kleines Geld Kleidung zu kaufen.

Heimat aus Sicht einer Migrantin schilderte Ljiljana Umiljenovic, Vorsitzende der Deutsch-Serbischen Gesellschaft und stellvertretende Vorsitzende des Integrationsrates Paderborn. Als geborene Serbin, die in Kroatien aufwuchs, während des Jugoslawien-Krieges nach Belgrad fliehen musste und mit ihrem Mann seit 15 Jahren in Paderborn lebt, sagt sie: "Ich habe mehrere Heimaten." Diese Erkenntnis sei auch für ihre Kinder wichtig. "Damit sie sich nicht fragen müssen, wo gehöre ich hin."

Um den Zusammenhalt in Deutschland stehe es nicht schlecht, referierte Andreas Grau von der Bertelsmann-Stiftung. Zwischen 1990 und 2012, dem Jahr der letzten Befragung, sei der Zusammenhalt sogar gewachsen. Am stärksten sei er in Hamburg ausgeprägt, am schwächsten in Sachsen-Anhalt. Nordrhein-Westfalen liegt auf Platz 10 der 16 Bundesländer. Seit dem Herbst 2015 werde der gesellschaftliche Zusammenhalt durch die Zahl der Flüchtlinge auf eine zusätzliche Probe gestellt. Laut zweier aktueller Studien der Bertelmann-Stiftung würden die meisten Deutschen aber Flüchtlinge nach wie vor willkommen heißen, vor allem jene, die persönlich Kontakt zu ihnen hatten. Die Einstellung gegenüber Einwanderern sei stetig positiv. Allerdings sei die Bereitschaft, weitere Flüchtlinge aufzunehmen, deutlich zurückgegangen. Insgesamt stehe Deutschland vor einer dreifachen Integrationsherausforderung, sagte Andreas Grau. Sowohl die Milieus, die "nicht dazugehören", wie auch Migranten und Flüchtlinge müssten integriert werden. "Es ist keinem geholfen, wenn wir uns nur auf einen Bereich fokussieren."

Über die rund 4000 Werkvertragsarbeiter in der Fleischindustrie im Kreis Gütersloh berichtete Volker Brüggenjürgen, Vorstand des örtlichen Caritasverbandes, in einer zweiten Talkrunde. Die überwiegend aus Südosteuropa stammenden Arbeiter würden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, geschweige denn integriert. "Wir denken, da kommen Fleischer. In Wirklichkeit kommen Familien." Mit der Beratung durch die Caritas sei ein erster Schritt getan, diese Familien aus ihrer Abschottung zu befreien.

Die kleinen Erfolge der Integration würdigte Vanessa Kahl vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Dortmund-Hörde. Bei der Beratung in einem multikulturellen Umfeld im sozialen Brennpunkt der Dortmunder Nordstadt, berichtete sie, wie sich das Leben der dort lebenden Migranten und Flüchtlinge stabilisiert, und Heimat entsteht.

Von einer Erfolgsgeschichte der Integration berichtete Adnan Mermertas, Landesbeauftragter der syrisch-orthodoxen Religionslehre in NRW. Rund 100.000 Aramäer, die aus vor allem aus der Türkei geflohen seien, lebten teils in vierter Generation in Deutschland. Rund 80 Prozent hätten die deutsche Staatsangehörigkeit. "Deutschland ist unsere Heimat, wir können nicht zurück." Bei der Integration habe der eigene syrisch-orthodoxe Glaube eine sehr große Rolle gespielt. "Er ist Teil unserer Identität."

Die Chancen der digitalen Kommunikation würdigte Sabine Depew vom Diözesan-Caritasverband Köln. Diese könne maßgeblich helfen, Heimat zu schaffen.

Foto:
Diskutierten das Thema Heimat (von links): Thomas Becker (Caritas Soest), Dr. Ursula Pantenburg (SkF Gütersloh), Ljiljana Umiljenovic (Paderborn), Frank Wengenmaier (Salzkotten), Mechthild Reker (Caritas Gütersloh) und Moderator Frank Sitter.

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